„Willsch du öppe id EU?!“ Zu dieser Frage kommt es meist früher als später in (beinahe) jeder Diskussion, in der es um unseren grössten Nachbarn die Europäische Union geht. Somit gleich zu Beginn: Ja, ich will. Die Europa-Initiative ist aber keine EU-Beitritts-Initiative. Da die Gretchenfrage nun aus dem Weg geräumt ist, können wir uns der eigentlichen Diskussion widmen.

Die Europa-Initiaive

Was will die Europa-Initiative? Die Schweiz soll ihre europapolitische Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Handlungsfähig heisst, dass die Schweiz wieder in die Lage versetzt wird, neue Abkommen mit der EU abschliessen zu können und bestehende auf dem aktuellen Stand zu halten. Update von Verträgen und das erschliessen neuer Politikbereiche ist seit dem einseitigen Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU durch den Bundesrat – ohne Zustimmung des Parlaments oder der Stimmbevölkerung – nicht mehr möglich.

Die Initiative würde es nach der Annahme dem Bundesrat überlassen, welches Mittel er wählt, um die Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Es könnte sich um den aktuell verfolgten „Paket Ansatz“, eine anderweitige institutionelle Lösung, einen Beitritt zum EWR oder einen Beitritt der Schweiz zur EU handeln. Darüber hinaus würden die sog. „flankierenden Massnahmen“ und damit der Grundsatz „Gleiche Arbeitsbedingungen am gleichen Ort“ bei Annahme der Initiative neu in der Verfassung stehen. Nicht zuletzt löst eine Initiative sodann auch immer eine politische Diskussion aus. Das ist dringend nötig, denn der gesellschaftliche Diskurs ist mindestens so festgefahren wie die aktuell stattfindenden Verhandlungen mit der EU.

Und die GRÜNEN?

Was wollen die GRÜNEN? An der Mitgliederversammlung vom 28. Januar 2023 haben die GRÜNEN Schweiz entschieden, sich an der Europa-Initiative zu beteiligen. Das ist pragmatisch und der richtige Weg, um aus der europapolitischen Sackgasse zu gelangen. Wenn sowohl der Bundesrat wie auch das Parlament blockiert sind, dann braucht es eben eine Initiative! Darüber hinaus dürfte es interessant sein, sich an Projekten der EU zur Bekämpfung des Klimawandels (im Initiativtext explizit vorgesehen) zu beteiligen. Denn wohlgemerkt, die EU ist in diesem Bereich um einiges weiter als die Schweiz.

Und die Jungen Grünen? Sie haben an ihrer Mitgliederversammlung vom 8. April 2023 die Unterstützung der Europa-Initiative beschlossen und gleichzeitig den EU-Beitritt gefordert. Das geht nebeneinander, denn wie zuvor ausgeführt, legt die Europa-Initiative kein Beziehungsmodell vor, sondern „nur“ ein Ziel – die Handlungsfähigkeit der Schweiz.

Was will ich? Ich stehe mit den Jungen Grünen. Ich will die Europa-Initiative und den Beitritt zur EU. Ich will den Diskurs. Ich will eine Volksabstimmung. Ich will Teilhabe. Ich will Handlungsfähigkeit. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass nur der EU-Beitritt die Frage der Souveränität – die im Zentrum der Diskussion um das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU steht – (zufriedenstellend) beantworten kann. 

Mehr Souveränität

Zur Zeit wird es – Blocher, SVP und Konsort*innen sei dank – so dargestellt, als wäre die Schweiz nur im Reduit souverän; wenn sie die EU so weit wie möglich von sich fernhält und auf keinen Fall auf die Forderung der EU eingeht, die institutionellen Fragen mit einem (oder mehreren) Abkommen zu klären. Das ist aus mehreren Gründen falsch. Diese Art der Souveränität gibt es nicht und hat es wahrscheinlich auch nie gegeben.

Die Krisen unserer Zeit – Klima, Corona, Ukraine-Krieg und zuletzt die Rettung der Credit Suisse – sind global und können  auch nur so bewältigt werden. Bedeutende Länder in Europa wie Deutschland und Frankreich haben das schon lange erkannt.

Das eigentliche Souveränitäts-Problem der Schweiz ist, dass wir nicht mit am Tisch sitzen, wenn diese Herausforderungen, verhandelt werden. Im Gegenteil, wir stehen lediglich am Spielfeldrand.

Das echte Souveränitätsproblem ist die aktuelle Situation. Zur Zeit beschränken wir uns darauf, „autonom“ Regeln nachzuvollziehen, welche andere Staaten beschlossen haben. Das ist nicht nur unsouverän, sondern auch undemokratisch: Weil die bilateralen Verträge durch eine Guillotine-Klausel miteinander verflochten sind, ist der Preis (im monetären wie auch im übertragenen Sinne) der Ablehnung regelmässig ein sehr hoher. Und so kommt es, dass es bei europapolitischen Referenden im Abstimmungsbüchlein (bspw. Waffenrichtlinie, Frontex) eigentlich heisst: „Wollen Sie die Bilateralen Verträge weiterführen? Ja oder nein“. Auf diese verkappte Art möchte ich mein Stimmrecht nicht wahrnehmen. Das ist keine Souveränität. Souveränität heiss, mit am Tisch zu sitzen und bei Abstimmungen eine echte Wahl zu haben. Beides wird nur durch den EU-Beitritt ermöglicht1.

Der Platz der Schweiz ist in Europa

Zuletzt: Was sind die Alternativen? Was wollen die Freund*innen der Reduit-Schweiz? Keine geregelten Beziehungen zur EU und zur Kompensation der Wohlstandseinbussen (welche sie anerkennen), neue bzw. vertiefte Freihandelsabkommen mit Ländern wie den USA, Saudiarabien und Indien. Freihandel, um ökologische und soziale Aspekte ergänzt, ist schön und gut. Aber diese Bestrebungen lassen zentrale Argument ausser Acht: der Platz der Schweiz ist in Europa. Kein Freihandel mit einer dieser Nationen kann den grenzüberschreitenden Waren-, Personen-, und Dienstleistungsverkehr kompensieren, den unzählige KMUs an der Grenze mit unseren Nachbarstaaten tätigen. Und letztlich kann mit dem Abbau von Zöllen nicht annähernd jener potentielle Wohlstand geschaffen werden, wie mit dem Abbau technischer Handelshemmnisse im Binnenmarkt. Ausserdem: Ich muss in einem Text, welcher sich primär an GRÜNE richtet, wohl nicht erklären, weshalb ich eine enge Beziehung zur EU, welche sich für Klimaschutz, Arbeitnehmer*innenrechte, Konzernverantwortung usw. einsetzt, bevorzuge gegenüber einem Freihandelsabkommen mit einem dieser Länder. Zudem ist es illusorisch zu glauben, die Verhandlungen würden mit diesen internationalen Partnern eher auf Augenhöhe stattfinden als mit der EU, welche in den vergangenen Jahren sehr viel Verständnis für die Eigenarten der Schweiz aufgebracht hat.

Ich will keine Reduit-Schweiz. Ich will eine Schweiz, welche nicht länger wartet, dass die EU perfekt wird, bevor sie (perfekte Schweiz?) sich zu einer klaren Haltung durchringt. Ich will eine Schweiz, welche mit am Tisch sitzt. Dazu braucht es eine europapolitische Debatte, welche nicht bei der Gretchenfrage endet, die sämtlichen Handlungsoptionen der Schweiz unvoreingenommen gegenübersteht und sich für diejenige mit dem grössten Nutzen entscheidet. Die Europainitiative stösst eine solche Debatte an. Wir haben sie dringend nötig.

1: Dies gilt übrigens auch für eine schweizer Mitgliedschaft im EWR. Obschon dieser eine vollständige Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt vorsieht, sitzen die EWR-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen bei der Abstimmung über neue Binnenmarktrechtsakte nicht mit am Tisch. Abstimmen dürfen nur EU-Mitgliedsstaaten.

Elena Michel

Vorstandsmitglied GRÜNE Bezirk Horgen, Co-Präsidentin Operation Libero Zürich