Letzten Freitag war Zürich einmal mehr der mediale Mittelpunkt einer Kulturdebatte. Die Kulturwelt musste zur Kenntnis nehmen, wie schludrig oder militant passiv Zürich bisher mit einer wichtigen kulturpolitischen Frage umgegangen ist. Die Frage lautet: wie intensiv wurde denn abgeklärt, ob und wenn ja, unter welchen Bedingungen die Sammlung Bührle, potentiell mit höchstem Reputationsrisiko behaftet, in einer öffentlichen Kulturinstitution gezeigt werden darf. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht deshalb davon, dass es das Kunsthaus geschafft habe, zum Gespött des internationalen Kunstbetriebs zu werden. Die Zeit kommt zum Schluss, dass das Kunsthaus durch die Sammlung Bührle «beschmutzt» scheint.

Wir alle wissen, die Stadt Zürich hat in vielen Jahren kaum Willen gezeigt, die Sammlung Bührle transparent auf seine Provenienzen hin untersuchen zu lassen. Am 16. Dezember 2021 hat sich das dramatisch geändert. In einer legendären Pressekonferenz versuchten Kunsthaus und Bührle-Stiftung, den Ausstellungsobjekten der Sammlung Bührle einen Persilschein auszustellen. Der Versuch wurde als derart grotesk wahrgenommen,
dass die internationalen Medien empört reagierten. So konnte sich die bis anhin sehr passive Stadtregierung den Interventionen des Gemeinderates nicht mehr länger verweigern. Es musste ein Forschungsprojekt zur Überprüfung der Provenienzen ausgelöst werden.

Nun liegt der Bericht von Raphael Gross und seinem Team vor. Das Resultat ist vernichtend. Gross stellt fest, dass nicht nur 49, sondern insgesamt 62 der Kunstwerke jüdischen Vorbesitzer*innen gehört zu haben scheinen. Wenn man die Jahre vor 1933 noch zusätzlich einbezieht, sind es sogar 133 Werke, die jüdische Vorbesitzer*innen hatten. Gross kommt deshalb zum Schluss: «Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden spiegelt sich vielleicht in keiner anderen Sammlung so deutlich wider, wie in der die Emil Bührle in den Jahren 1936 bis 1956 zusammengetragen hat.»

Die Stiftung Bührle hatte 113 Kunstwerke einer Kategorie A zugeordnet. Diese seien nach lückenlos erforscht und unproblematisch. Weitere 90 Kunstewerke wurden der Kategorie B, «deren Provenienzen keinen Hinweis auf einen Eigentumswechsel 1933 –1945 enthalten, der als problematisch einzustufen ist», zugeordnet.

Nach der Recherche von Raphael Gross liegen nun nicht einmal bei allen Kunstwerken der Kategorie A die Nachweise vor, dass die Werke wirklich lückenlos erforscht und damit unproblematisch seien. Die Zuweisung zur Kategorie B, wo es keine Hinweise auf einen Eigentumswechsel zwischen 1933 und 1945 geben soll, wird von Gross als nicht haltbar beurteilt, denn Nichtwissen, ist eben nicht gleichbedeutend mit unproblematisch. Gross sagt denn auch: «Gravierend ist die Erkenntnis, dass die Kategorie B der Stiftung Sammlung E.
G. Bührle in Gänze zu falschen Ergebnissen führt.» Deshalb müssten alle 90 Kunstwerke, die der Kategorie B zugeordnet sind, neu untersucht werden, schlussfolgert Gross.

Wir fordern nun die Stadt Zürich, den Kanton Zürich und das Kunsthaus auf, die Empfehlungen von Raphael Gross umzusetzen.
Markus Knauss, Gemeinderat

In einem ersten Schritt müsse die Forschung weiter geführt werden und dafür sei «möglichst rasch die zeitliche und finanzielle Dimension zu kalkulieren.» Es freut mich deshalb ausserordentlich, dass die Partei
von Stadtpräsidentin und Kunsthaus-Vorstandsmitglied Mauch und von Regierungsrätin Fehr, die Sozialdemokratische Partei, schon unmissverständlich eine lückenlose Aufklärung einfordert.

Wenn wir schon beim Thema Erinnerungspolitik in Sachen Bührle sind. Emil Bührle verdiente sein Geld in den Kriegsjahren u.a. damit, dass er Lizenzzahlungen für die Produktion von Waffen der Ikaria Maschinenbau GmbH erhielt. Die Ikaria beutete dafür Frauen im Zwangsarbeitslager in Velten, einem Unterlager des KZ Ravensbrück, aus. Die Lizenzzahlungen beliefen sich auf rund 870’000 Franken, mehr als Bührle in den Kriegsjahren für den Kauf von Kunstwerken ausgab. Der Gemeinderat hat am 22. März 2022 ein Postulat überwiesen, dass eine Forschung zum Frauenzwangsarbeitslager Velten verlangt und am 15. Dezember 2023 auch einen Budgetkredit von Fr. 150’000.- zur Erfüllung dieses Postulats gesprochen. Wenn am 10. Juli die Stellungnahme von
Stadt, Kanton und Kunsthaus zum Bericht erfolgt, ist das wohl der letzte Moment, um aufzuzeigen, wie die Stadt diese Forschung zum Zwangsarbeitslager Velten aufgleisen will. Wenn das nicht erfolgt, muss man sich schon fragen, wie unglaubwürdig die Stadtzürcher Erinnerungspolitik denn noch werden soll.