Immer wieder bin ich überrascht, wie genau verfolgt wird, was ich parlamentarisch voran treibe, welche Vorstösse ich einreiche oder auch zurückziehe. Bewusst wird es mir immer dann, wenn positive Rückmeldungen, zuweilen auch Anfeindungen und Beschimpfungen, meinen Mailposteingang fluten, nachdem ich einen Vorstoss eingereicht habe. Überrascht musste ich nun feststellen, dass auch der Rückzug einer Motion einiges an Emotionen auslösen kann; von „Verräterin“ bis zu „Tiermörderin“ war alles dabei und liess mich erst einmal leer schlucken.

Verfassungswidrige Tiertötung

Stein des Anstosses war der Rückzug meiner Motion, die ein sofortiges Verbot des Tötens männlicher Küken in der Eierindustrie forderte – wie es in Deutschland bereits in Kraft getreten ist. Die Erzeugung und Tötung von sogenannten Eintagsküken als „Nebenprodukte“ der hochspezialisierten Eierindustrie entspricht einer verfassungswidrigen Tierwürdemissachtung höchsten Grades. Der Eigenwert der männlichen Tiere aus der Hybrid-Legehennenzucht wird durch die unmittelbare Tötung nach dem Schlupf vollständig negiert. Millionen Küken fallen dieser unethischen Praxis jährlich zum Opfer.

Zu diesem Schluss ist auch die WBK-N gekommen, als sie mit exakt dieser Argumentation das Schreddern männlicher Küken verboten hatte. Gemäss Wortlaut ist das Schreddern männlicher Küken mit Artikel 1 des Tierschutzgesetzes nicht vereinbar. Dasselbe trifft allerdings auch auf die weiterhin erlaubte Tötung mittels CO2-Gas zu. Sie gilt gemäss aktuellem Stand der Wissenschaft als nicht tierschutzkonform, die Tiere sterben einen minutenlangen Erstickungstod.

Seit der Einreichung meiner Motion hat sich jedoch in der Eierbranche viel getan, wenngleich eine optimale Lösung noch aussteht. In Schweizer Brütereien soll ab Ende 2023 das Geschlecht im Brutei bestimmt werden, so dass nur noch weibliche Küken schlüpfen werden. Mit dieser Lösung zeigt die Schweizer Eierbranche den Willen, gemeinsam mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette die komplexe Herausforderung anzunehmen. Wenngleich eine Frühbestimmung im Ei der grundsätzlichen Problematik, dass das Huhn als reine Produktionsmaschine verstanden wird, nicht Rechnung trägt, gilt es nun, keine überstürzten Verbote zu erlassen, sondern mit der Branche in Kontakt zu bleiben und den Umstand zu honorieren, dass dem Vergasen von Küken hiermit ein Ende bereitet wird.

Was wären die Folgen eines sofortigen Verbots?

Denn was wäre, wenn ich nun ein sofortiges Verbot gemäss Vorbild Deutschland fordern würde? Ein Blick über die Grenze zeigt auf, welchen Schritt vom Regen in die Traufe das Verbot in Deutschland fürs Tierwohl bedeutete. Das Durchsetzen des Verbots, bevor die Lösung der Früherkennung im Ei umgesetzt werden kann, führte schlicht zum Import weiblicher Küken – es werden schliesslich nicht von heute auf morgen so massiv viel weniger Eier konsumiert. Deutschland importiert nun teilweise direkt weibliche Küken oder exportiert die Männlichen, um sie im Ausland zu vergasen – womit den Küken vor dem qualvollen Vergasen zusätzlich ein belastender Transport bevorsteht. Das Tierleid wurde damit schlicht exportiert – aus den Augen, aus dem Sinn.

Ein weiterer Grund, der mich zum Rückzug bewegt hat, ist die hiesige Entwicklung in der Bio-Branche, wo auf das Zweinutzungshuhn gesetzt wird, eine Lösung, die eine Abkehr von der intensivierten Hochleistungszucht bedeutet und einen Paradigmenwechsel anstossen könnte.

Aufgrund dieser Entwicklungen werde ich nun kein Verbrot des Kükentötens per sofort fordern, sondern ziehe meine Motion zurück, bleibe mit der Branche in Kontakt und werde, wenn sich die Lösung mittels Zweinutzungshühnern bewährt, zu einem späteren Zeitpunkt eine Umstellung auf Zweinutzungshühner und damit eine Abkehr von Hybridrassen anstossen. Gemeinsam mit der Branche, die wir als tierschützende Politiker*innen nicht als Feinde, sondern als Verbündete ansehen und von unserem Weg überzeugen müssen – nur so kommen wir weiter, Schritt für Schritt.

Ein Gästinnenbeitrag von Nationalrätin Meret Schneider