Markus Kunz, Di 28.04.20

Tag 35. Der alte weisse Mann sitzt in Herrliberg, und die Decke fällt ihm auf den Kopf. Er nimmt seine Feder und schreibt einen Leserbrief: «Rettet die Umwelt. … Wir haben vergessen, wie wichtig die Umwelt ist. … Doch nun merkt man: Die Umwelt bringt Arbeit, Lohn, Einkommen. … Doch man vergisst: Wer die Umwelt kaputtmacht, zerstört die Lebensgrundlage. Die Umwelt in einem Tag zu zerstören, ist leicht. Sie wiederaufzubauen, dauert Monate und Jahre. … Wer nur die Gesundheit schützt und die Umwelt zerstört, zerstört die Lebensgrundlage.» Zufrieden legt er die Feder weg. Gut gebrüllt Löwe! Silvia kommt und guckt ihm über die Schulter: «Ey Alter, was schreibst du für ein Scheiss, echt jetzt, Mann?» Die Frau spricht komisch, denkt er. Vielleicht in Zungen. Aber wo sie recht hat, hat sie recht. Er nimmt das Federmesser, kratzt das Wort «Umwelt» aus und setzt «Wirtschaft» ein. Dann pfeift er dem Butler: Ab zur NZZ!

Tag 36. Boris holt tief Luft und nimmt dann seinen Chugi zur Hand. Ein Beschluss muss her, aber asap! Diese Gesundheitsfanatiker muss man stoppen, die übertreiben masslos. Die Pandemie ist nur ein Vorwand, er, Boris, durchschaut das sofort. Niemand stirbt einfach nur durch ein Virus, schon gar ein Brite! Die NHS will einfach mehr Geld raffen, das ist es. Es wäre cool, diesen Beschluss mit einem ironischen Titel versehen zu können, der ihnen schon mal den Tarif durchgibt. Boris denkt nach. Plötzlich leuchten seine Augen. Er hustet kurz und schreibt dann: «Operation Letzter Atemzug». Boris lacht in sich hinein. Genau! So muss man denen kommen. Dann hustet er nochmals.

Tag 37. Ernst zieht seinen Mantel an und geht nach draussen. Er will aufs Tram. An der Haltstelle trifft er diesen Banker, wie hiess er doch gleich? Egal. Der Banker quatscht ihn an. Ob er nicht etwas für die notleidenden Banken tun könne. Es sei schlimm, niemand wolle mehr einen Kredit. Und diejenigen, die einen wollten, seien arme Schlucker, die ihn eh nicht zurückzahlen könnten. Ernst denkt nach. Der Banker ist ihm gefährlich nahe, bestimmt weniger als 2 Meter. Er denkt schneller. Und dann leuchten seine Augen. Never change a running system! Sagen die Linken nicht immer: «Gewinne privat, die Kosten dem Staat»? Er sagt zum Banker: Komm, wir machen ein Rettungspaket. Ihr gewährt Kredite, ich übernehme das Risiko. Der Banker strahlt. Ernst strahlt. Richtig verstanden, ist dieses Social Distancing eben doch eine tolle Sache!

Tag 38. Der alte weisse Mann von der Falkenstrasse seufzt. Der Leitartikel drängt, die Aktionäre tun es nicht minder. Er setzt sich hin. Er denkt: Das Einfachere zuerst. Er klappt den Laptop auf und richtet den Blick zur Decke. Der Inhalt ist ja klar: Irgendwas gegen den überbordenden Staat. Kaum haben wir etwas Krise, muss die Linke das wieder schamlos ausnutzen und nach Staatsintervention schreien. Das muss gebrandmarkt werden. Ein erneuter Seufzer – und dann ist sie da, die Schlagzeile: «Seuchen-Sozialismus»! Einen winzigen Augenblick lang gönnt er sich eine tiefe Zufriedenheit. Er denkt, moll doch, irgendwie kann ich es noch. Da klopft es an die Tür. Die Sekretärin streckt den Kopf herein. «Gell, Chef, Sie vergessen nicht, das Formular für die Kurzarbeit auszufüllen, das sollte heute noch weg!» Er seufzt. Ach ja, das hätte er jetzt beinahe vergessen.

Tag 39. Die Affen im Zoo langweilen sich. Keine Sau vor dem Gitter. Man weiss nicht warum. Von einem Tag auf den anderen kommen keine Gaffer mehr. Die Affen sind ratlos. Wie will denn der Zoo überleben ohne seine Attraktion, diese komischen Typen, die sich zum Affen machen, eigenartige Dinge am Leib tragen, nur ein kleines Fell auf dem Kopf haben und andauernd Bananen fressen? Die Affen zucken mit den Schultern und fangen dann ein neues Spiel an: WC-Rollen umherschmeissen. Draussen, in der leeren Savanne, furzt einsam eine Giraffe.

 

(erschienen auf www.pszeitung.ch am 24.4.20)