Markus Kunz, Di 25.02.20

Vermischt sich die xenophobe Politik der SVP mit ihrer plötzlich entdeckten Ahnung, dass sich keine Partei um das Thema Klima herumdrücken kann, dann entsteht ein Zombie, nämlich die Neuauflage einer bräunlich gefärbten Pseudo-Ökologie. Ein Gespenst geht durch die politische Debatte: die Meinung, dass all die ökologischen Fragen, die uns täglich beschäftigen, überlagert seien durch den banalen Umstand, dass wir scheints zu viele Menschen auf der Welt sind. Oder in der S-Bahn. Oder im Stau. Und daher müsse man nur die Zuwanderung begrenzen, um das Klima zu retten. Sie werden das in den nächsten Monaten noch sehr oft hören, leider auch von links.
 
Das Gemeine daran ist, dass es einen ebenso winzigen wie banalen Wahrheitskern gibt, denn natürlich hat die Anzahl Menschen mit ihrer Umweltbelastung irgendwie zu tun. Ohne Menschen keine Umweltzerstörung, schon klar. Nur ist die Sache wesentlich komplexer, und schon alleine, dass wir allen Ernstes eine Debatte führen, ob es noch ökologisch verantwortbar sei, Kinder auf die Welt zu stellen, weist darauf hin, dass viel schiefläuft. Selbstmord aus Angst vor dem Tod ist eine dumme Strategie.
 
Wissenschaftlich ist die Frage schon lange beantwortet. Reduziert man die Formel für den Klimawandel auf die wesentlichen Faktoren, so ergibt sich: Anzahl Köpfe x Konsum (Fr/Kopf) x Effizienz (kWh/Fr) x CO2-Intensität (CO2/kWh) = Gesamtbelastung. Und aus unserer Schulzeit wissen wir: Willst du die Summe reduzieren, kannst du irgendeinen Faktor verkleinern, egal welchen. Einfache Mathematik, aber hier etwas unterkomplex. Denn es ist so, dass die einzelnen Faktoren nicht unabhängig voneinander stehen. So etwa sind «Konsum» und der ökologische Fussabdruck (als Masszahl für die Umweltbelastung) miteinander verbunden. In leichter Sprache: je reicher, desto umweltbelastender. Oder umgekehrt: je umweltfreundlicher, desto ärmer. Eine zweite Korrelation wird das demografische Paradox genannt. Es heisst vereinfacht: je reicher, desto tiefere Geburtenrate. Vergleicht man eine Weltkarte der Geburtenraten und eine des Fussabdrucks, so sehen sie beinahe gleich aus.
 
Diese Zusammenhänge sind seit Jahrzehnten als das Problem der nachhaltigen Entwicklung bekannt. Es geht darum, ärmeren Ländern die Möglichkeit für eine Entwicklung mit mehr «Konsum» und damit beiläufig auch für eine Senkung ihrer Geburtenrate zu ermöglichen, ohne dass sie in die Falle der Umweltzerstörung hineinlaufen. Genau das versucht die UNO seit langem, bisher allerdings ohne grosse Erfolge. Es ist in diesem Sinne verlogen, einfach auf die Anzahl der Menschen zu zielen, denn Mensch ist nicht gleich Mensch. Wir in den reichen Ländern zerstören unendlich mehr Welt als x-fach so viele Menschen in armen Ländern. So einfach ist das.
 
Eine Geschichte von Marcel Hänggi drückt das besser aus als alle Grafiken: Ein verwöhnter unsympathischer Junge lädt ein paar Gspänli zum Kindergeburtstag ein. Als die riesige Torte serviert wird, schnappt er sich den grössten Teil und verzieht sich in eine Ecke, wo er vor sich hin mampft und alle anschnauzt, die ebenfalls etwas möchten. Andere bedienen sich ebenso schnell am Kuchen, und mehrere Kinder bekommen nichts. Das Fest ist dann schnell zu Ende. Ein leer ausgegangenes Kind geht nach Hause und erzählt seiner Mutter alles. Der Vater kommt hinzu und meint lakonisch: Klarer Fall, der gute Junge hat viel zu viele Gspänli eingeladen… Gandhi sagte dazu: Die Welt ist gross genug für jedermanns Bedürfnisse. Aber nicht für jedermanns Gier.

 

(erschienen im P.S. am 21.2.20)