Elena Marti, Mi 26.08.20

Rücktrittsschreiben von Elena Marti aus dem Gemeinderat

Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte,

Liebe Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,

Nach nicht ganz vier Jahren im Gemeindeparlament trete ich zurück und werde somit höchstwahrscheinlich – ich weiss es allerdings nicht mit Gewissheit – jüngste Zürcher Alt-Gemeinderätin. Die Entscheidung, mich vorerst aus der Politik zurückzuziehen, war keine einfache. Ich habe in den vergangenen Jahren viel gelernt und es war mir eine Ehre für die Stadt Zürich zu politisieren. Es hat sich mir jedoch eine berufliche Chance eröffnet, die ich unbedingt annehmen wollte und die nicht mit meiner parlamentarischen Tätigkeit vereinbar ist. Deshalb habe ich mich schweren Herzens dazu entschieden zurückzutreten, allerdings kann ich euch nicht garantieren, dass ihr für immer von mir Ruhe habt, irgendwann werde ich vielleicht wieder antanzen.

Da ich nicht in dieses Parlament gekommen bin, um zum Schluss nur noch nette Höflichkeitsfloskeln zu verlieren, noch etwas Politisches. Ich wünsche der Stadt Zürich ein sehr viel diverseres, weiblicheres und jüngeres Parlament. Denn von einer effektiven Repräsentation unserer Gesellschaft in diesem Rat sind wir weit entfernt. Natürlich bräuchte es für die wahre Repräsentation auch noch einige rechtliche Reformen – zum Beispiel das lokale Wahl- und Stimmrecht für Bürgerinnen und Bürger ohne Schweizer Pass. Es hilft natürlich auch nicht, dass ich, als jüngste Gemeinderätin dieser Stadt, nun zurücktrete. Denn dadurch schwingt der Altersdurchschnitt wieder schwungvoll nach oben. Aber wir alle sind ersetzbar und ich hoffe, dass bei den nächsten Wahlen andere junge Politiker*innen in diesen Rat gewählt werden. Die letzten zwei Jahre haben nämlich gezeigt: die Jungen wollen Veränderung und anerkennen die Probleme unserer Zeit. Klimastreik, Frauenstreik und Black Lives Matter haben tausende von jungen Menschen auf der Strasse zusammengebracht. Es wird Zeit, dass diese hier im Gemeinderat Platz nehmen.

Natürlich ist es aber nicht ganz einfach als junge Frau in diesen Rat zu kommen. Klar, dieses Amt verlangt von uns allen ein dickes Fell. Aber je nach Geschlecht, Alter, Hautfarbe usw. ist eine andere Ausstattung von Nöten – von Maushaar bis Löwinnenmähne. Ich erinnere mich noch gut an die Erklärung, die ich im Namen des Klimastreiks anfangs Jahr in diesem Rat vorlas. Hinter der Erklärung standen viele junge, engagierte Menschen und die Botschaft war sehr relevant. Auf die Erklärung folgte eine stundenlange Debatte. Wie die Herren der rechten Ratsseite sich über das Statement – das nur ein bisschen länger als gewöhnlich war – empörten, von ihren Stühlen aufsprangen und beim Ratspräsidium meine Unterbrechung forderten, sucht meiner Meinung nach seinesgleichen. Meine Hypothese: Die heftige Reaktion dieser Herren hatte nur ganz am Rande mit dem Inhalt der Erklärung oder mit deren Dauer zu tun gehabt. Ich denke es ging eher darum mein Fell etwas zu stutzen oder das ihrige zu polieren. Meiner Meinung nach hat beides nicht geklappt, sorry. Ungeachtet der verschiedenen Felle, die wir uns über die Jahre haben wachsen lassen müssen, stimmt ihr mir aber sicherlich in einem Punkt zu. Nämlich dass der Titel «höchstes und spektakulärstes» Kopfhaar im Gemeinderat von Zürich an mich geht. Etwas wehmütig trete ich diesen Titel nun ab und wünsche euch allen weiterhin respektvolles und enthusiastisches Politisieren für ein gerechteres, schönes Zürich, das hoffentlich auch in Zukunft den verschiedensten Menschen ein zu Hause sein wird. Lieber Gruss, Elena Marti