Res Marti, Mo 08.06.20

Corona ist in auch der parlamentarischen Arbeit im Moment allgegenwärtig. Jedes noch so entfernte politische Anliegen scheint mit der Corona-Krise plötzlich an enormer Bedeutung gewonnen zu haben, zumindest in der Begründung der betreffenden Anträge und Vorstösse. Und selbstverständlich hat jede politische Richtung ihre ganz spezifischen Anliegen. Die einen fordern bessere Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal und mehr schulische Förderung für benachteiligte Kinder, die anderen weniger Gebühren für das Gewerbe und längere Parkierzeiten in der Innenstadt.

Wenn man genau hinschaut so sind die meisten Anliegen auch ganz und gar nicht neu, sondern einfach neu verpackt in einen Corona-Packpapier. Das alles ist ja irgendwie normal. Es ist leider ganz alltägliches politisches Handwerk die immer gleichen politischen Anliegen immer wieder neu verpackt auf die politische Agenda zu setzen. Und so fordert die linke Seite weiterhin mehr öffentliche Leistungen und Eingriffe um zu grosse Ungleichheiten auszugleichen, die rechte Seite fordert weiterhin weniger öffentliche Leistungen oder zumindest eine Reduktion der Kosten dieser Leistungen.

Etwas ist aber tatsächlich neu. In gewissen Punkten ist es in letzter Zeit doch tatsächlich vorgekommen, dass Politiker/innen auf der rechten Ratsseite einmal nach mehr und nicht nach weniger Staat rufen. So kann es vorkommen, dass sogar ein Vertreter der FDP, nicht mehr die freie Marktwirtschaft lobt, sondern die soziale Marktwirtschaft. Ein doch beträchtlicher und wichtiger Unterschied. Einige gingen sogar soweit einen staatlichen Eingriff in den Immobilienmarkt zu verlangen. Etwas das vor Corona undenkbar gewesen wäre. Für einmal sind die Kampflinien nicht zwischen freiem Markt und einschränkenden Staat, sondern zwischen KMU und institutionellen Immobilienbesitzern.

Solche neuen Einsichten sind zwar erfreulich, aber leider vermutlich auch nur sehr spezifischer Natur. Es gibt keinen neuen Konsens darüber, welche Aufgaben dem freien Markt überlassen werden können und welche zu wichtig für die individuelle Existenz und das soziale Gleichgewicht sind. Nicht die Grundansichten und Weltanschauungen haben sich verändert, sondern nur ganz spezifische Problemlösungsansätze für ganz spezifische Probleme.

Und trotzdem bin ich zuversichtlich. Nichts ist besser geeignet um Weltanschauungen in Frage zu stellen als die persönliche Erfahrung einer Krise. Und auch wenn man seine Weltanschauung nicht über Bord wirft, so verändert es doch die Vehemenz mit der an politischen Grundsätzen festgehalten wird. Dies fördert die Bereitschaft zu politischen Kompromissen auf beiden Seiten und führt zu besseren Lösungen.

 

(erschienen im Zürich West/Zürich2 am 28.5.2020)