Urs Riklin, Fr 08.05.20

Im Mai werden wir in der Schweiz alle verfügbaren Ressourcen der Natur aufgebraucht haben. Der Swiss Overshoot Day ist auf den 8. Mai 2020 angesetzt. Das Datum markiert den Tag, an dem die Bevölkerung der Schweiz bereits so viel von der Natur verbraucht hat, wie ihr fürs ganze Jahr zur Verfügung steht. Der Corona-Lockdown wird dieses Datum nur unmerklich hinauszögern. Ab heute leben wir also auf Kosten anderer Länder und zukünftiger Generationen.

Die Erde wird immer rascher aufgebraucht
Die Schweizer Bevölkerung hinterlässt nach wie vor einen sehr grossen ökologischen Fussabdruck: Falls sie nicht gerade pandemiebedingt zu Hause am Netflix-Serien schauen ist, fliegt sie im Schnitt dreimal so viel wie EU-Bürger, fährt die schwersten Autos von ganz Europa und gehört zu den weltweit grössten Abfallproduzenten.

Unser Lebensstil führt dazu, dass der Tag, ab dem die Menschen aus ökologischer Sicht über ihre Verhältnisse leben, immer früher eintritt. 1990 lag dieser Tag für die gesamte Weltbevölkerung noch Anfangs Dezember. Dreissig Jahre später, im Jahr 2018, war dieser Tag bereits am 1. August. Mit dem 8. Mai zählt die Schweiz zu den traurigen Spitzenreiterinnen auf der Weltrangliste (Platz 41). Würden alle Erdbewohner*innen wie wir leben, verbrauchten wir die Ressourcen von rund drei Planeten.

600 statt nur 30 Zürisäcke pro Tag
Durchschnittlich produzieren wir pro Person und Tag so viel CO2, wie 600 mit dem Klimagas gefüllte Zürisäcke fassen. Wollten wir nachhaltig leben, würde unser Budget bloss 30 Säcke pro Kopf und Tag zulassen – also 20-mal weniger, als wir gegenwärtig verursachen.

Klimaziele in Frage gestellt
Die drastischen wirtschaftlichen Einschränkungen, die uns wegen der Corona-Pandemie erwachsen sind, geben eine leise Vorahnung, wie gross die Anstrengungen beim Klima- und Umweltschutz eigentlich sein müssten. In der Stadt Zürich wurden während dem Lockdown rund ein Drittel weniger Autos auf den Strassen gezählt, der Flughafen steht seit Wochen praktisch still, und beim täglichen Konsum haben sich viele auf das beschränkt, was sie für wichtig und mutmasslich auch für unentbehrlich hielten.

Kurzfristig hat der Shutdown der Wirtschaft und des Öffentlichen Lebens zu einer Senkung des CO2-Ausstosses und einer markanten Verbesserung der Luftqualität geführt. Es werden mutmasslich auch weniger Ressourcen verbraucht werden. Dennoch ist es fraglich, ob die Schweiz (wie auch die übrigen Industrie- und Schwellenländer) die Klimaziele 2020 überhaupt erreichen werden. Für Einschätzungen ist es noch zu früh, aber es gibt viele Zweifel. Seit die ersten Lockerungsmassnahmen beschlossen wurden, kehren wir leider auch wieder zu einer anderen traurigen Normalität zurück: Die Autokolonnen durch die Langstrasse. Und wie wir uns in der Post-Corona-Zeit verhalten werden, steht in den Sternen.
 

Innovative Ideen sind gefordert

Die ökologischen Auswirkungen der Pandemie lassen sich noch nicht abschätzen, genauso wenig wie die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen. Aber eins scheint uns allen klar: Wir wünschen uns definitiv keinen Shutdown mit allen seinen dramatischen Folgen zurück, wie wir ihn zurzeit erleben. Sei es, weil eine globale Seuche oder die Erschöpfung der Erde ihn erzwingt. Daraus entstünde wohl die wahre Öko-Diktatur, die unabhängig der Weltanschauung und Parteigeplänkel um sich greift. Darum müssen die Milliarden an Schweizer Franken, die wir aktuell zur Stützung und Ankurbelung in die Wirtschaft einbringen, als Chance dazu genutzt werden, den überfälligen System-Change einzuleiten.

Das Patentrezept hierfür hält vermutlich niemand bereit (falls ich mich irre: gerne unten eine Nachricht mit Telefonnummer hinterlassen). Aber wir können damit beginnen, die Wirtschaft zu Relokalisieren, Produkte langlebig zu designen, weniger Abfall zu generieren, Materialien im Kreislauf zu halten (statt sie in der Kehrichtverbrennungsanlage zu vernichten), lokal und saisonal produzierte Lebensmittel einzukaufen, aus den fossilen Energien auszusteigen und voll auf Erneuerbare Energie zu setzen. Nur so als Gedankenanstoss vor dem nächsten Onlineshopping.

Die allmähliche Rückkehr in die Normalität hat mir gezeigt, dass Zürich dabei noch einen weiten Weg und viele Pendenzen vor sich hat. Dabei wünsche ich mir, dass wir nach dem Lockdown in eine neue Normalität zurückkehren könnten, in der die positiven Seiten, die sich in den letzten Wochen sowohl ökologisch, gesellschaftlich wie auch wirtschaftlich entwickelt haben, bestand haben und wir die negativen Seiten mit der Krise hinter uns lassen können. Happy Swiss Overshoot Day!