Zürichs Weg aus der Energiemangellage
Fast alles politische Handeln ist Energiepolitik, wenn nicht direkt, dann indirekt. Städte haben in vielen Energiebereichen zwar keine direkte Gestaltungsmöglichkeit, sie können jedoch Einfluss darauf nehmen und Energiepolitik im weiteren Sinn betreiben. Als die progressive Kraft müssen sie ihr Gewicht viel couragierter in die Waagschale werfen.
Drohende Energiemangellage
Die drohende Energiemangellage ist Symptom einer über Jahrzehnte andauernden bürgerlich geprägten Politik mit Fokus auf Grosskraftwerke für die Stromversorgung (Kernkraft, Wasserkraft; Gas-, Kohlekraft im Ausland) und fossile Energieträger generell (Gas, Kohle, Erdöl). Massgeblich deshalb haben wir uns zu einem äusserst energiehungrigen Volk entwickelt.
Bricht einer oder gleich mehrere dieser Blöcke ganz oder teilweise weg, wie aktuell das Erdgas oder auch die Kernkraft (vor allem in Frankreich), und gibt es darüber hinaus einen kalten Winter, wird es ungemütlich. Spätestens jetzt müsste fast allen klar sein, dass wir endlich davon wegkommen müssen – sowohl von den aus dubiosen Staaten bezogenen höchst klimawirksamen Energieträgern, als auch von unserer unangemessenen Energienachfrage, unabhängig davon, wie der Strom oder die Wärme in Zukunft bereitgestellt wird. Schliesslich hat jede Energiebereitstellungsform, bspw. auch Strom aus Wind- oder Wasserkraft, ihre Nachteile. Nicht umsonst heisst es, jede eingesparte Kilowattstunde sei die wertvollste.
Die eher unerwartete Möglichkeit, das Energiesparen (oder „Energie nicht verschwenden„, wie es der Bundesrat aktuell nennt) in der breiten Öffentlichkeit zu thematisieren und damit vielleicht sogar etwas zu bewirken, sollten wir nicht ungenutzt verstreichen lassen und unbedingt auch langfristig daran festhalten.
Kleinere, aber immer noch gute Brötchen backen
Die Rezepte für mehr Suffizienz und Effizienz sind bekannt. Damit wären wir bei einer der direkten städtischen Einflussmöglichkeiten in der Energiepolitik. Die Einführung progressiver (oder mit dem Verbrauch exponentiell ansteigender) Energiepreise kann durch das örtliche Energieversorgungsunternehmen erfolgen. Dabei liesse sich der unangemessene Verbrauch der sogenannten Oberschicht auch gleich thematisieren. Je früher wir dies angehen, desto besser, denn in Anbetracht der Dringlichkeit für Umweltschutz (beispielsweise mit dem inakzeptablen Ansinnen des Parlaments, die gesetzlich beschlossenen Restwassermengen zwecks Erhöhung der Stromproduktion zur Bekämpfung der Energiemangellage wenigstens temporär zu reduzieren) müssen alle den eigenen Energieverbrauch senken: die privaten Grossverbraucher*innen sowohl relativ als auch absolut weit mehr als die finanziell weniger Bevorteilten.
Aber selbstverständlich müssen wir noch ganz andere Hebel möglichst rasch in Gang setzen. Ansonsten steuern wir auf eine Klimaerhitzung zu, die uns schneller aus dem Holozän befördert, als wir uns vorstellen können.
Vorteile der Stadt konsequent nutzen
Dank der hohen Wohndichte ist es leicht(er) möglich, beispielsweise mit Umgebungswärme effiziente Wärmeverbunde zu betreiben. Das wird mit der Strategie zum Netto-Null Ziel (bis 2040) der Stadt Zürich bereits verfolgt und ist dank dem neuen kantonalen Energiegesetzes auch leichter umsetzbar.
Dank der kurzen Wege kann die Mobilität mit (Lasten)Velos auf sicheren Routen ergänzend zu einer guten ÖV-Infrastruktur umweltfreundlich erfolgen. Auch das ist Teil der im vergangenen Herbst verabschiedeten Strategie zum Netto-Null Ziel (mit Umsetzung bis 2030!). Nur dürfen wir uns dabei nicht kopflos zur E-Mobilität mit ihren ebenfalls zahlreichen Nachteilen (beispielsweise graue Energie, Platzbedarf) übergehen. Ganz im Gegenteil: eine weitgehend autofreie Stadt müsste auch nach dem Scheitern der Initiative „Züri autofrei“ die Losung der Stunde sein, denn eine Entwertung des motorisierten Individualverkehrs brächte die so sehr benötigte substantielle Reduktion der Energienachfrage und der CO2-Emissionen.
Dazu gehört auch der (Wieder-)Aufbau und die Anbindung an ein leistungsfähiges internationales Schienennetz zur Reduktion des Flugverkehrs auf ein absolutes Minimum. Dem allzu schönen Märchen des klimaneutralen Fliegens dürfen wir uns keinesfalls hingeben. Nur schon die Ankündigung der Flugbranche, es würde nun über die nächsten Jahrzehnte (so ehrlich ist man immerhin!) eine Infrastruktur für sythetischen Flugtreibstoff aufgebaut, lässt aufhorchen. Diese Zeit haben wir nicht!
Entfaltung städtischer Energiepolitik von innen nach weit aussen
Klar, progressive Städte wie Zürich müssen ihre eigenen Hausaufgaben machen und als Vorbilder in Erscheinung treten, indem sie Netto-Null so rasch wie möglich erreichen. Doch reicht das? Zur städtische Energiepolitik gehört wie oben angedeutet auch, mit Vehemenz den Einfluss über den Kanton, hinaus bis nach Bundesbern geltend zu machen und wo nötig von da auch auf die internationale Gemeinschaft einzuwirken, beispielsweise über städtische Netzwerke. Wir dürfen nichts unversucht lassen, den bürgerlichen Graben zu überwinden. Denn machen wir uns nichts vor: es muss endlich Schluss sein mit dem exzessiven Geldverdienen durch die Förderung fossiler Energieträger. Diese schädlichen Energien gehören – wenn nicht sehr bald verboten – dann wenigstens an der Quelle besteuert. Mit den generierten Geldern ist die weltweite Transformation zu einer nachhaltigen Energieversorgung zu finanzieren, so wie es die Klimafonds-Initiative auf nationaler Ebene anstrebt.
Zur Transformation der Energieversorgung gehört auch, dass genügend Fachkräfte ausgebildet werden. Wir müssen die Kräfte bündeln und alle Ressourcen an den richtigen Orten einsetzen. Inwiefern Städte darauf hinwirken können, ist zu erörtern.
Tatsache ist, dass wir dringend Schweisser*innen für den Ausbau der städtischen Fernwärmenetze benötigen, Installatur*innen von PV-Anlagen, Fachkräfte für die Gebäudesanierung und viele mehr. Ganze Projektteams für langwierige Partizipationsverfahren zur Gestaltung des öffentlichen Raumes einzusetzen, darauf können wir getrost verzichten. Nur um ein Beispiel zu nennen. Wir müssen vor allem umsetzen, was nach wissenschaftlichen Erkenntnissen umzusetzen ist und nicht ständig diskutieren. Es darf nicht sein, dass wir Netto Null nach hinten schieben, weil wir uns nicht aus unserer Komfortzone hinausbewegen wollen.
Heute noch: völlig falsche Signale
Noch sind wir also viel zu zaghaft unterwegs. Allzu oft werden selbst von den angeblich progressiven Städten falsche Signale ausgesendet. So geschehen mit dem Unterwerk Selnau und dem vorgesehenen Einzug einer Energiezentrale. Dadurch wird das sorgfältig aufgebaute Haus Konstruktiv und der Impact Hub verdrängt. Es ist schon klar, dass es Nutzungskonflikte geben wird beim Umbau des Energiesystems. Warum aber wird bei dieser Gelegenheit nicht gleich die Sinnhaftigkeit des nahegelegenen Paradeplatzes diskutiert, wo höchst fragwürdige energiewirtschaftliche Investitionsentscheidungen getroffen werden? Ganz bestimmt gäbe es alternative Möglichkeiten, diese Zentrale unterzubringen. Oder mit mit der geplanten 50-stündigen Sperrung zum 50. Jahrestag der Eröffnung des Provisoriums Westtangente. Nach anfänglich positiven Rückmeldungen wurde die Bewilligung doch nicht erteilt. Die Kantonspolizei konnte sich mit der Begründung „sie befürchte ein Verkehrschaos“ offensichtlich gegen den Stadtrat durchsetzen.
Was wir wohl noch alles befürchten müssen, wenn sich die angeblich progressiven Städte nicht bald durchsetzen? Sind wir Städter*innen überhaupt progressiv und mutig genug dafür? Angesichts der klaren Erkenntnisse aus der Erforschung unseres Planeten ist es nicht nur zu hoffen, sondern absolut notwendig.
Fabian Schildknecht
Mitglied GRÜNE Partei Kreis 6 und 10, wohnhaft in Zürich Wipkingen, 44-jährig, Vater von 2 Kindern, zuständig für das Umwelt- und Energiemanagement in der Unternehmensentwicklung von ewz