Wir existieren – ein Plädoyer für den 3. Geschlechtseintrag
Kurz vor Weihnachten 2022 beschloss der Bundesrat, die Einführung eines dritten Geschlechts oder den generellen Verzicht auf den Geschlechtseintrag nicht zu unterstützen. Als Begründung nannte der Bundesrat, dass die «gesellschaftlichen Voraussetzungen» dafür nicht gegeben seien. Kurz darauf sind über 1’000 nicht-binäre, trans, intergeschlechtliche und agender* Menschen und unsere Verbündeten in Zürich auf die Strassen gegangen. Wir haben uns gegen die staatliche Unsichtbarmachung unserer Realitäten und gegen die Festhaltung an einer binären Geschlechternorm stark gemacht. Vergangenes Wochenende haben in Bern wieder über 500 Personen unter dem Motto «We exist!» für den 3. Geschlechtseintrag demonstriert.
Realitäten schaffen
Als Menschen, deren Körper und/oder Identitäten ausserhalb der Geschlechterbinarität liegen, bedeutet der 3. Geschlechtseintrag oder der Verzicht auf einen Geschlechtseintrag staatliche Anerkennung und Sichtbarkeit – zum Beispiel in Statistiken. Unsere Realität, unsere Existenz würde durch eine solche Änderung sicht- und ausdrückbar. Mit der heutigen Regelung wird die Diversität geschlechtlicher Identitäten und Körpern schlicht nicht abgebildet. Der Entscheid des Bundesrates ist auch eine Realitätsverweigerung. Denn wie die Menschen an den Demonstrationen es schon gerufen und gezeigt haben, uns gibt es und wir lassen nicht (länger) zu, dass unsere Existenz ignoriert wird.
Zudem würde ein dritter Geschlechtseintrag dazu beitragen, dass die «gesellschaftlichen Voraussetzungen» für die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt geschaffen werden. Denn Gesetzen prägen Normen und die gesellschaftliche Wahrnehmung. Sie geben einen Rahmen vor, in dem wir uns bewegen. Zudem vermindert die staatliche Anerkennung des eigenen Geschlechts und der eigenen Geschlechtsidentität viel sogenanntes misgendering und somit Gewalt gegen nicht-binäre, agender und trans Personen. Die Nennung des im Personenstand eingetragenen Geschlechtes wird heute enorm häufig verlangt (bei Bewerbungen, beim Reisen, im medizinischen System, bei der Kandidatur für ein Amt…) und jede dieser Situationen kann für Personen, deren Geschlecht(sidentität) nicht richtig abgebildet ist, im besten Fall stressig sein, im schlimmsten Fall gefährlich werden. Umgekehrt kann es euphorisch sein, sich auch in diesen Momenten korrekt vorstellen und präsentieren zu können.
Zeichen gegen rechte Hetze
Gerade in einer Zeit, in der medial und politisch von rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kräften gegen nicht-binäre und trans Menschen (insbesondere trans Frauen) und allgemein Menschen, die sich ausserhalb von geschlechtlichen Normen bewegen, gehetzt wird, wäre ein solches Zeichen vom Bundesrat enorm wichtig. Der Bundesrat hätte damit Akzeptanz ausdrücken und das Signal senden können, dass wir alle gleichwertige und anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sind.
Mit der ablehnenden Haltung hat der Bundesrat das Gegenteil bewirkt und die Kräfte gestärk, welche unsere berechtigten Anliegen als hysterisch und neumodisch oder gar gefährlich atun. Zwischen dem Heraufbeschwören eines «Gender Terrorismus» und den verbalen und körperlichen Attacken auf trans Personen und Drag Queens besteht ein Zusammenhang. Es ist eine Spirale der Gewalt, die von diesen Kräften oft bewusst bedient wird. Das Ziel ist es, unsere Existenz zu verneinen, uns aus der Gesellschaft zu verdrängen und zu unterdrücken.
All dies im Namen einer konstruierten Norm, die weder natürlich noch global ist. Diese Norm wiederum dient der Aufrechterhaltung patriarchaler Strukturen und Hierarchien und muss darum auch von allen Feminist*innen in Frage gestellt werden. Denn wir existiere, haben schon immer existiert und werden auch weiter existieren. Ob uns der Staat anerkennt oder nicht.
* nicht-binär: Menschen, deren Geschlechtsidentität ausserhalb oder zwischen der binären Indentität Mann oder Frau liegt
*intergeschlechtlich: Menschen, die mit einer Variation der körperlichen Geschlechtsmerkmale geboren worden sind.
* agender: Menschen, die keinem Geschlecht zugehören
Michelle Huber
Mitarbeiterin Social Media und Kommunikation GRÜNE Stadt Zürich, GL Mitglied Junge Grüne Zürich