Wie so viele von uns habe ich im Juni mit Entsetzen die Meldung vernommen, dass der oberste Gerichtshof der USA das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch de facto aufhob. Der Aufschrei war gross. Wann immer ich mein Handy zur Hand nahm, wurde ich mit der Frage konfrontiert, was dieses Urteil für Frauen (und andere Menschen mit Uterus) hierzulande bedeutet. Diese Frage wird zusätzlich durch die SVP befeuert, die zwei Initiativen gestartet hat, die auch in der Schweiz den Schwangerschaftsabbruch wieder verbieten möchten.

Wir brauchen andere Vorbilder!

Über das Recht auf körperliche Autonomie und einen Schwangerschaftsabbruch an sich möchte ich hier nicht sprechen. Ich möchte etwas ganz anderes thematisieren. Mich stört die Grundannahme, ein Urteil in den USA müsse zwingend direkte Auswirkungen auf uns haben. Es ist ein altbekannter Reflex: Alles was in den USA geschieht, geschieht auch bei uns. Die Ursache dieses Reflexes liegt darin, dass wir noch immer unbewusst die USA als Vorreiterin und als Idealstaat sehen. Mit meinen lateinamerikanischen Wurzeln habe ich ein ganz anderes Verhältnis zu diesem Staat. Für Millionen von Menschen sind die USA nicht die Verkörperung eines Ideals, sondern das Land, das nur Leid gebracht hat. Noch jede blutige Militärdiktatur in Lateinamerika wurde direkt oder indirekt von den USA unterstützt. Darum frage ich: Wollen wir wirklich ein Land als Vorbild, das sich Kolonialismus und Unterdrückung buchstäblich in die Verfassung geschrieben hat? Ein Land das behauptet, eine Waffe zu tragen sei ein Menschenrecht? Wir müssen aufhören, die Entwicklungen in den USA als allgemeingültige Entwicklung für den Rest der Welt anzusehen.

 

Hoffnungsvollere Geschichten

Es gibt nämlich weitaus hoffnungsvollere Geschichten, die wir uns als Vorbild nehmen könnten. Immer mehr Länder in Lateinamerika befreien sich allmählich aus den Ketten der Vergangenheit, welche die USA ihnen auferlegt haben. In meinem zweiten Heimatland Chile wurde ein 35-jähriger ehemaliger Studentenaktivist zum Präsidenten gewählt, der neben einem klaren Klimaschutzprogramm auch einen gerechten und sozialen Staat anstrebt. Im September werde ich über eine neue, moderne Verfassung abstimmen können, welche von einem paritätisch und demokratisch gewählten Bürger*innenrat ausgearbeitet wurde.

Solche Geschichten sollten wir Feminist*innen uns zum Vorbild nehmen. Doch auch Ereignisse in der Schweiz müssten uns Hoffnung geben: Auch wenn die SVP versucht, auf den Trump’schen Rechtspopulismus aufzuspringen und ähnliche Diskussionen anzustossen, scheitern sie kläglich daran. Nehmen wir die Abstimmung zur «Ehe für alle» im letzten Jahr. Trotz der aggressiven Nein-Kampagne hat eine deutliche Mehrheit der Stimmbürger*innen die Vorlage befürwortet. 2014 wollte die SVP die Kostenübernahme eines Schwangerschaftsabbruchs durch die Krankenversicherung abschaffen. Sie scheiterte mit fast 70% an der Urne. Deswegen: Verzweifeln wir nicht! Es gibt genügend Beispiele, die eine weitaus hoffnungsvollere Geschichte erzählen, als die USA. Erzählen wir diese Geschichte.