Bezahlbarer Wohnraum ist ein Grundrecht, das in der Bundesverfassung verankert ist. Dennoch scheint sich die aktuelle Stadtpolitik in Zürich dem Druck der finanzkräftigen Investoren und Immobilienfirmen zu beugen, die ihre Milliarden in Ersatzneubauten «parkieren» wollen. Man fragt sich, welche Vorteile sich für die Stadtregierung dabei ergeben. Denn ganz klar ist: die Bevölkerung hat die Nase voll von der asozialen Verdichtung!

Von einer Abrisswelle und Verdichtungswut sind vor allem die Aussenquartiere der Stadt betroffen. Witikon und insbesondere das Gebiet Buchholz-Buchzelg ist eines dieser Quartiere, die nun auch im kommunalen Richtplan als «Verdichtungsgebiet» ausgewiesen werden. Was das aktuell für die Quartierbevölkerung bedeutet, zeigt sich auf einem Grundstück im unteren Teil der Buchholzstrasse, direkt angrenzend an die Robinsonwiese. Das hohe Baugespann an der Buchholzstrasse 7 – 27 auf dem Areal der Noldin Immobilien AG hat Anwohner*innen sowie das ganze Quartier schockiert. Doppelt so hoch als die umliegenden Häuser ragen die Bauprofile in den Himmel. Nicht nur sollen hier völlig intakte, erst vor 20 Jahren totalsanierte Wohnhäuser abgerissen und alteingesessene Bewohner vertrieben werden, auch der durchgrünte Charakter des Quartiers mit alten Bäumen ist dem Untergang geweiht. Die 5-geschossige Arealüberbauung ist nur der Vorbote einer noch krasseren Entwicklung, welche in diesem Gebiet bis zu 7-geschossige Bauten und eine um 40 Prozent höhere Dichte möglich macht. Dass hier ein ganzes Stadtquartier und damit seine Bewohner «ausrangiert werden» liegt auf der Hand. Wer hat eigentlich ein Interesse daran?

Verdichten heisst heute Ersatzneubau

Viele der Wohnhäuser in diesem Quartier aus den 60er und 70er Jahren werden in den kommenden Jahren sanierungsbedürftig. Mit den aktuellen horrenden Bodenpreisen von mehr als 5‘000 Franken pro Quadratmeter lohnt sich eine „Verdichtung nach Innen“, das heisst eine Sanierung und eventuell Aufstockung der Wohnhäuser, nicht. Institutionelle und private Immobilienbesitzer, die ihre über die letzten Jahrzehnte angehäuften Renditen gewinnbringend „parkieren“ wollen, reissen deshalb ab und bauen neu. Die Wohnungen werden leergekündet, denn man wünscht sich sowieso solventere Mieter*innen. Ein tolles Geschenk macht die Stadt diesen Immobilienbesitzer*innenn zudem, wenn das Grundstück gross genug ist. Dann gilt es als Areal – auch wenn es mitten in einem gewachsenen Quartier liegt – und der Investor darf hier mit einem Bonus nochmals 10 bis 20% zuschlagen. Auflagen: keine!

Dass Arealüberbauungen „besonders gut gestaltet und ins Quartier eingeordnet“ sein müssen, wie es der Artikel 71 im Planungs- und Baugesetz vorschreibt, ist eine reine „Ermessenssache“. Im Fall des Areals Noldin besteht diese Auflage lediglich im Umstand, dass ein Studienauftrag erteilt wurde und eine kleine Fachjury sich für ein etabliertes Planungsbüro entschieden hat, das derartig absonderliche Gebäudestrukturen bereits mehrfach realisiert hat. Die konzeptuellen Argumente sind immer dieselben: „man reagiere mit dem gewählten Gebäudemuster präzise auf die umliegenden Bauten und Grünräume“. Damit scheint für das Amt für Baubewilligungen wie auch für das Baurekursgericht alles Notwendige punkto Quartierverträglichkeit gesagt und bewiesen zu sein. Dass das Quartier und insbesondere der Quartierverein das anders sieht, interessiert weder die Bauherrschaft noch die Behörden.

Doppelt so hohe Häuser – doppelt so hohe Mieten

Auf dem Areal werden nun doppelt so viele Wohnungen gebaut, zum doppelten Preis. Denn neunzig Prozent der 130 Wohnungen sind Kleinwohnungen mit 2,5 bis 3,5 Zimmern. Leisten werden sich diese Mieten von 350 bis 400 Franken pro Quadratmeter nur sehr gut verdienende Zuzüger. Es ist nicht zu leugnen, dass diese zukünftigen Mieter*innen vor allem die sogenannten Expats, d.h. Angestellte der grossen internationalen Finanz-, Pharma- oder Technologiefirmen sein werden, die sich neuerdings in Zürich ansiedeln. Nachdem man im unteren Kreis 7 und 8 sowieso nur noch Englisch spricht, weitet sich das Phänomen nun auch in die Aussenquartiere aus. Ob die so begehrte Lebensqualität der Stadt dann auch noch für die ansässige Bevölkerung möglich ist, scheint die Baupolitiker*innen der Stadt Zürich nicht zu kümmern. Auch in den Amtsstuben sitzen inzwischen mehrheitlich für Verdichtung engagierte Zugewanderte, welche die Amtssprache dialektfrei beherrschen. Die alteingesessenen Bürger*innen sollen doch ins Altersheim oder in den Kanton Thurgau ziehen. An das Drittelsziel für gemeinnützige Wohnungen, das sich die Stadt vor ein paar Jahren gesetzt hat, wird sich bei vollzogener Verdichtung sowieso niemand mehr erinnern. Die Bodenpreise steigen ins Unermessliche, bei Ersatzneubauten wird grosszügig über alle Aspekte der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit hinweggesehen – und es lohnt sich offensichtlich nicht mehr, in Altbausubstanz zu investieren, wenn aus Neubauten mehr Rendite geschöpft werden kann.

Wie klimaneutral ist der Abriss von intakter Bausubstanz?

Natürlich ist diese Art des Umgangs mit Bausubstanz alles andere als nachhaltig. Denn die graue Energie – d.h. die Ressourcen für die Erschaffung, die in der alten Bausubstanz steckt – wird in keiner Ökobilanz dargestellt. Man könnte auch schlecht isolierte Altbauten noch Jahrzehnte lang heizen, um die Kosten aufzuwiegen, die beim Abriss intakter Wohnungen verschwendet wird. Man stelle sich vor, wieviele Lastwagen Schutt und Aushub beim Abriss der Siedlung auf dem Areal Noldin anfallen, wieviel intakte Technologie, Heizung, sanitäre Anlagen vernichtet werden. Allein der Abriss der gepflegten Anlage und das Abtragen des Baumaterials wird ein Jahr der dreijährigen Bauzeit in Anspruch nehmen. Wo bleiben also die Auflagen für einen besonders ökologischen Umgang mit der Bausubstanz?

Wenn das Baugesetz keine Auflagen für den Erhalt von günstigem Wohnraum sowie von bestehender Bausubstanz macht, wird das Quartier und eigentlich die ganze Stadt in den kommenden Jahren komplett umgewälzt. Anwohner werden verdrängt und die Mieten werden sich mehr als verdoppeln. Wo sollen langjährige Quartierbewohner, ältere Generationen sowie Familien dann noch wohnen? Was geschieht mit dem sowieso schon überlasteten Verkehr, den Schulen und der Infrastruktur? Wieviele Menschen werden sich am Sonntag noch auf dem Panoramaweg und im kleinen Waldstück des Stöckentobels drängen? Wieviel Bevölkerungszuwachs verträgt das Quartier überhaupt?

Widerstand des Quartiers

Diesen Fragen stellt sich der auf Initiative von Anwohnern des Areals gegründete Verein IG Buchholz-Buchzelg. Der Verein setzt sich für eine nachhaltige und sozialverträgliche, d.h. quartierverträgliche Wohnbaupolitik ein. Der Rekurs gegen die rücksichtslose Überbauung des Areals Noldin ist aktuell das Hauptanliegen. Das Areal soll massvoller und sozialverträglicher überbaut werden – als Anstoss für eine entsprechende Entwicklung in anderen Quartieren. Man hofft auf die Voranwendung von Artikel 49b im Planungs- und Baugesetz, der bei Arealüberbauungen, die den Ausnutzungsbonus ausschöpfen, einen Anteil gemeinnützige Wohnungen vorschreibt. Kann gut sein, dass dann die Rendite-Rechnung der Noldin Immobilien nicht mehr aufgeht. Und eigentlich würde man auch gerne auf die Voranwendung der Baumschutzverordnung hoffen, die trotz einer Abstimmung seit 1992 wegen Artikel 76 im Planungs- und Baugesetz bisher nie umgesetzt wurde. In zwei Jahren wird es sicher endlich eine Baumschutzverordnung geben, welche bei einer Voranwendung die wunderschönen Föhren und Zedern auf dem Areal samt ihrem Vogelbestand geschützt hätte. Heute darf der Bauherr alles fällen! Und dafür ein paar Jungbäume pflanzen. Es gibt keine gesetzliche Grundlage für den Schutz von alten, wertvollen Bäumen – und offenbar auch nicht von wertvollen Menschen und ihrem angestammten Quartier.

Die IG Buchholz-Buchzelg beabsichtigt, den Rekurs gegen die Arealüberbauung auf dem Grundstück der Noldin Immobilien auch nach dem negativen Entscheid des Baurekursgerichtes an die nächste Instanz, das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, weiterzuziehen. Dies dank der solidarischen Unterstützung von umliegenden Anwohnern und Bewohnern aus dem ganzen Quartier. Noch bis Ende Januar kann sich die Quartierbevölkerung an dem Fundraising gegen das Areal beteiligen. Bis dahin müssen genügend Mittel zusammenkommen, um dieser ungesunden Entwicklung im Quartier entgegen zu wirken.

Fazit: sozialverträgliche Verdichtung tut Not!

Verdichtung sollte massvoll und im Einklang mit den Bedürfnissen der Quartierbewohner*innen geschehen. Die Instrumente dafür kann die Stadt durchaus schaffen, was Stadtpräsident Emil Klöti in den 1930er Jahren bewiesen hat. Wenn unsere Stadtpräsidentin Corine Mauch zum Thema des sozialverträglichen Wohnens sagt „Das Recht auf Wohnen können wir nicht durchsetzen, weil es rechtlich nicht bindend ist“, wollen wir widersprechen! Was ist ein Recht, wenn es rechtlich nicht bindend ist? „Vielleicht würde es sich tatsächlich lohnen, vor Gericht zu gehen und dieses fundamentale Ziel, welches in der Bundesverfassung und der Gemeindeverordnung verankert ist, einzufordern“, wie es Philippe Koch, Professor für urbane Prozesse an der ZHAW in einem Artikel über Stadtforschung (M+W 6.12.2021) geäussert hat. Grüne Quartierpolitik ruft nach Solidarität der Bewohner*innen! Engagieren Sie sich in Ihrem Quartier für eine sozialere Wohnbaupolitik!