Gegen den konservativen Backlash
Seit dem 1. Juli 2022 dürfen wir Homosexuellen, die in einer Zweierbeziehung leben, heiraten. Euch grünen Mitstreiter*innen gehört mein Dank: Ihr habt immer zu den treibenden Kräften gehört in unserem Kampf um Gleichstellung. Ihr habt früh erkannt, wie zentral LGBTIQ Rechte für eine Demokratie sind. Ihr wart schon immer an unserer Seite im Kampf um mehr Gerechtigkeit und Schutz für Menschen wie mich. Ich appelliere an euch, jetzt nicht die Hände in den Schoss zu legen und diese Gerechtigkeit als erreicht zu betrachten. Ich appelliere an euch, euch weiter für das Erreichte einzusetzen, es gegen konservative Backlashes zu verteidigen und weiter für noch marginalisiertere Personen einzustehen.
Es bleibt viel zu tun.
Ich erzähle euch, was. Aber zuerst möchte ich euch kurz mit in meine Jugend entführen: Ich bin seit über 20 Jahren out & proud als lesbische Frau. Als lesbische 16-Jährige – anfang der Nullerjahre – begegnete man meiner damaligen Freundin und mir grundsätzlich mega easy, ich spürte viel Akzeptanz und Wohlwollen. Ausser von der damaligen Fussballvereinspräsidentin, die lieber «keine Lesben» in ihrem Verein gehabt hätte und mich indirekt als krank und pädophil bezeichnete, kurz bevor sie uns bei den Eltern meiner Freundin ohne unser Einverständnis outete. Aber: diese Person blieb sehr, sehr lange die einzige Homophobe, die mir so direkt begegnete.
Klar, der Schweizer Gesetzgeber gab mir bis zum 1. Juli 2022 auch zu verstehen, dass meine Liebe nicht gleichwertig ist wie die zu einem Mann. Es gab damals noch nicht einmal das Partnerschaftsgesetz. Ich erlebte meine erste grosse Liebe mit der Gewissheit, diese Frau niemals heiraten zu dürfen, keine Kinder mit ihr auf legalem Weg haben zu können, nicht den gleichen Namen als Familie annehmen zu können.
Wie wir alle wissen und einige von uns können es vielleicht langsam nicht mehr hören: Das ist jetzt anders. Homosexuelle Paare dürfen jetzt heiraten, Kinder und nicht nur Katzen adoptieren und der Zugang zur Fortpflanzungsmedizin wurde endlich geöffnet. Was bleibt denn noch zu tun?
Der Teufel steckt im Detail.
Es wird schwieriger, Homo- und Transfeindlichkeit zu erkennen, zu benennen und zu bekämpfen. Ich bin froh, dass es schwieriger geworden ist – versteht mich nicht falsch! Die himmelschreienden Ungerechtigkeiten sind seltener geworden und das ist ein Erfolg. Und gleichzeitig macht es mir Sorgen, weil wir heute und in Zukunft vielleicht weniger sensibel für stärker marginalisierte Personen sind, deren Fälle dann quasi durch die Laschen fallen.
Ich mache euch ein Beispiel: Die Stadt Zürich hat als erste Schweizer Verwaltung das Projekt «trans welcome» unterstützt. Seither, das war 2018, schmückt sich die Stadt Zürich gerne mit diesem Label, dass sie also Personen mit einer Transidentität am Arbeitsplatz unterstützt und aktiv Inklusion betreiben wolle. Auf den ersten Blick siehts also super aus, genauso wie die Regenbogenfahnen in den zwei Pride-Wochen an den Amtshäusern.
Mir ist jedoch aus erster Hand ein Fall bekannt, bei dem sich eine Person mit Transidentität auf eine Stelle bei der Stadt Zürich bewarb, die fachlich alle Qualifikationen mitbrachte und dann doch nicht eingestellt wurde. Mir ist ein weiterer Fall aus erster Hand bekannt, in dem sich eine Lehrperson der Stadt Zürich als nonbinär in der Schule outete und vergeblich um Unterstützung von der Stadt bzw. dem Gleichstellungsbüro wartete – obschon sie explizit darum gebeten hatte. Inzwischen hat diese Person gekündigt, weil sie das transphobe Bashing gegen sich, insbesondere seitens der Eltern, nicht mehr aushielt.
Diese Fälle lassen aufhorchen. Kann es sein, dass wir mit einigen der Trans- und Regenbogenfahnen etwas kaschieren, statt Farbe zu bekennen? Kann es sein, dass teilweise Unvermögen oder Unwillen versteckt werden, sich ernsthaft und konkret für die Menschen einzusetzen, die Unterstützung am dringendsten brauchen?
Ich appelliere an euch, die Ohren für solche Fälle gespitzt zu haben. Ich weiss aus Erfahrung, dass ein einziger Mensch den Unterschied machen kann: Jemand, der oder die hinhört, die hinsieht, die handelt. Wie bei mir damals im Fussballklub vor 20 Jahren, wo sich eine ältere Spielerin für uns einsetzte. Ihr alle könnt für jemand anderes ein solcher Mensch sein.
Dieser Text ist eine leicht redigierte Version von Lea Herzigs Begrüssungswort an der Mitgliederversammlung vom 12. Juli 2022
Lea Herzig
Geschäftsleitungsmitglied GRÜNE Stadt Zürich