Lange dachte ich, dass gesellschaftspolitische Ziele wie Barrierefreiheit und Teilhalbe von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, vor allem aber mit körperlichen Behinderungen, nicht mit Zielen von Umweltschutz vereinbar sind.

Inklusion darf nicht vergessen gehen

Tatsächlich gibt es auch offensichtliche Zielkonflikte, wie die Debatte um Plastikröhrchen klar aufzeigt. Einerseits ist es wichtig zum Schutz der Umwelt und besonders auch der Meere, die Nutzung von Einweg-Plastik Gegenstände zu reduzieren. Andererseits sind Menschen mit starker Einschränkung in ihrer Bewegungsmöglichkeit, zum Beispiel Menschen, die von einer Tetraplegie oder Ganzkörperlähmung betroffen sind, darauf angewiesen, dass sie ihre Getränke mit Hilfe eines Strohhalms selbstbestimmt zu sich nehmen können. Eine wichtige Anforderung an diese Strohhalme ist, dass sie auch höhere Temperaturen vertragen, sodass Heissgetränke wie Kaffee und Tee oder auch Suppen ohne Verbrennungen und ohne andere gesundheitliche Risiken eingenommen werden können.

Doch gerade bei der Innovation von umweltfreundlicheren Alternativen zu Plastik, oder anderen umweltbelastenden Materialien und Technologien, ist es wichtig, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen miteinbezogen werden. Dass solche Lösungen erfunden werden können, liegt aber grundsätzlich in der Natur des Menschen, die schon immer sehr erfinderisch und lösungsorientiert war – sonst hätten wir uns ja niemals so weiterentwickeln und verbreiten können. Der Mensch ist ja das beste Beispiel von Darwin’s «suvival of the fittest» Theorie, die ja eben nicht das Überleben der Stärkeren meint, sondern das Überleben der Anpassungsfähigsten.

Dazu ist es aber wichtig, dass wir als Gesellschaft vom medizinischen Modell von Behinderung loskommen, wo Menschen nach ihren «Defiziten» zur «Norm» beurteilt werden, die es zu richten und zu heilen gilt, und wo der Fokus auf Sonderlösungen gelegt wird. Barrierefreiheit und Inklusion sind ein Querschnittsthemen, denen wir als Gesellschaft nur dann genüge tun können, wenn wir sie in allen Aspekten unseres Lebens miteinbeziehen.

Die Zugänglichkeit der Natur

Menschen haben grundsätzlich ein Bedürfnis sich mit der Natur zu verbinden. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass diese Verbindung essenziell ist für unsere psychische Gesundheit. Wenn also ein Teil von uns aufgrund ihrer körperlichen Voraussetzungen und ihrer sozialen Stellung die Natur nicht erfahren können, weil sie beispielsweise Wanderwege nicht mit Rollstühlen und Rollatoren nutzen können, oder wenn sie keinen Zugang zu natürlichen Gewässern haben zum Schwimmen, fehlt ihnen ein wichtiger Teil im alltäglichen Ausgleich.

Ich persönlich lebe seit Geburt mit einer körperlichen Behinderung, welche meine Mobilität einschränkt aufgrund meines einen Beines, welches zusätzlich in der Hüftfunktion stark eingeschränkt ist. Da ich lange dachte, dass ich sowieso nie wandern kann, blieben mir viele Naturerfahrungen verschlossen. Ich bin jedoch sehr wasserliebend und habe im Schwimmen und Tauchen eine Seite der Natur erleben dürfen, die mir sehr viel Kraft und Freude gibt. Als ich die wissenschaftliche Publikation von Alison Kafer «feminist queer crip» (2013) gelesen hatte wurde mir beim Kapitel «Bodies of Nature  – the environmental politics of disabiltiy» erst klar, dass ich selbst dem ableistischen Vorurteil erlegen war, dass «mensch die Natur ja nicht zugänglich machen kann».

Alison und weitere ökofeministische Personen, welche sich mit dem Thema entweder aus eigener Betroffenheit oder aufgrund von betroffene Familienangehörigen und Freund*innen auseinandersetzen, haben mir aufgezeigt, dass wir in der heutigen Zeit die Natur immer auch mitgestalten. Es ist möglich, Naturwege zu erstellen, welche hindernisfrei sind. Es ist möglich, Einstiegshilfen für Seen, Meere oder Flüsse zu gewährleisten, welche für mehr Personen nutzbar sind, als nur für diejenigen, welche körperlich fit und unversehrt sind.

Nachhaltigkeit nicht ohne Vielfalt

Woher kommt also dieses Vorurteil? Ich vermute, dass die Motivation, sich für Umweltschutz einzubringen, oft auch daher kommt, chronische Krankheiten und Behinderungen zu verhindern, zum Beispiel aufgrund von Luft- und Wasserverschmutzung. Obwohl dies ein Anliegen ist, was ich auch als behinderte Person unterstütze, liegt dieser Motivation ein negatives Bild von Behinderung zugrunde: Behinderung als etwas, was unbedingt vermieden werden muss.

Um also Nachhaltigkeit umfassend zu denken und politisch umzusetzen ist es wichtig, die Vielfalt von menschlichen Körpern und Kapazitäten mitzudenken. Die Motivation, schwere Krankheiten, Pandemien und gesundheits- und lebensbedrohende Umweltkatastrophen zu vermeiden, schliesst eine Inklusion von Menschen, welche bereits aus so vielen verschiedenen Gründe heute schon (und schon immer) mit chronischen Krankheiten und/oder Behinderungen leben nicht aus. Das Eine tun und das Andere nicht lassen, ist meiner Meinung nach der Weg zum Ziel.

Chris Alexis Heer

Jurist*in und Aktivist*in